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Österreich ✛ „An die Altäre muss man nahe herantreten, die Szenen langsam nach und nach betrachten, die Texte in Ruhe lesen und mit den gemalten Szenen darunter in Verbindung bringen. Dieser Prozess ist theologisches Studium und religiöse Meditation zugleich.“ die Bibel aktuell | 13 Ein neues Bildprogramm Die Forschung ist sich heute einig, dass sowohl für den Mömpelgarder Altar als auch für seinen älteren und größeren Bruder, den Gothaer Tafelaltar von 1536/37 mit seinen 162 Tafeln, der Maler Heinrich Füllmaurer, tätig im südwestdeutschen Herrenberg, und seine Werkstatt verantwortlich zeichnet. Eine inhaltliche Zusammenarbeit mit dem Reformator und Herrenberger Pfarrer Kaspar Gräter, dem späteren Hofprediger in Stuttgart, ist anzunehmen. Georg Graf von Württemberg-Mömpelgard bestellte für sein Herrschaft sgebiet bei Heinrich Füllmaurer den zweiten ganz ähnlich gestalteten Altar für Mömpelgard, das heutige Montbéliard/Frankreich. Um den Entstehungszusammenhang der beiden Werke zu begreifen, müssen wir aber zuerst Herzog Ulrich von Württemberg, den Auft raggeber des früheren Gothaer Tafelaltars, in den Blick nehmen. Er machte sich ab 1534 daran, die Reformation fl ächendeckend durchzusetzen. Er selbst neigte zur strengen Schweizerischen Reformation und ließ 1536 aus seiner Schlosskapelle alle religiösen Kunstwerke dem alttestamentarischen Bilderverbot (2. Mose 20,4-5a) entsprechend entfernen. Die Intention Herzog Ulrichs und in Folge die seines jüngeren Halbbruders Georg war aber nicht ein komplettes Verbot religiöser Bilder, sondern die, durch das Entfernen der alten Kunstwerke Platz für neue Werke im Sinne der Reformation zu schaff en. Bei beiden Wandelaltären liegt gerade aufgrund der Kleinteiligkeit der dargestellten Szenen der Vergleich mit kostbar illustrierten Büchern, die ein Fürst alleine durchblättert oder mit seinen Gästen im Detail erläutert, nahe. So gehören beide sogenannten „Altäre“ (eine andere Funktionsbezeichnung wäre nun sinnvoll) aus dem Zusammenhang eines kirchlichen Raumes oder der Funktion einer Bildpredigt gelöst. Kunstkammern hingegen waren die Orte der Präsentation preziöser Kunstwerke, die nicht für einen „Gebrauch“ gedacht waren. Herzog Ulrich und Graf Georg besaßen solche Kunstkammern und es scheint plausibel, dass die beiden Füllmaurer-„Altäre“ zum Zweck der Aufstellung in den jeweiligen Kunstkammern geschaffen wurden - als moderne reformierte Kunst. Reformatorische Polemik Eine Reduktion auf einen rein ästhetischen Genuss greift aber zu kurz: An die Altäre muss man nahe herantreten, die Szenen langsam nach und nach betrachten, die Texte in Ruhe lesen und mit den gemalten Szenen darunter in Verbindung bringen. Dieser Prozess ist theologisches Studium und religiöse Meditation zugleich – sicher nicht für eine ganze betende Gemeinde, aber für einen ausgewählten Kreis an Gläubigen. Im Detail lässt sich heute aber auch die Zeitgebundenheit so mancher Szene ablesen: Im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Matthäus 13,24-30) wird der Unkraut säende Feind der Menschen in Gestalt eines Mannes mit Hörnern auf dem Kopf, aber auch noch mit der Tonsur eines Mönches, mit überzeichneter Fratze und dem gelben Gewand des Judas und damit der Juden im Allgemeinen, so das Denken um 1500, gezeigt. Im Hintergrund schlafen die im Gleichnis unvorsichtigen bzw. verantwortungslosen Menschen in Gestalt eines Papstes, Kardinals, Mönchs und vielleicht sogar Kaiser Karls V. oder dessen Bruder Erzherzog Ferdinand, den deklarierten Feinden der evangelischen Kirche. Die Stoßrichtungen reformatorischer Polemik werden somit augenfällig: gegen die Papstkirche in Rom, gegen das Mönchstum, gegen die Juden und vielleicht sogar gegen die katholischen Habsburger. Als Kriegsbeute gelangte dann 1634 der Mömpelgarder Altar wiederum in eine Kunstkammer, nämlich in jene der Habsburger in Wien, der katholischen Habsburger allerdings. Welch Ironie der Geschichte! Mag. Manuel Kreiner ist Kunsthistoriker und Kunstvermittler in Wien. Die Österreichische Bibelgesellschaft arbeitet mit ihm in der Veranstaltungsreihe „Bibel und Kunst“ zusammen. © Foto: KHM Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24-30).


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