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Reformationsjubiläum
Martin Luthers Bilderbibel von 1529
Beim Stichwort „Reformation“ denken wir an die Lehre von der Rechtfertigung, die Bibelübersetzung,
die Katechismen und die Auslegung der Bibel. Wer aber weiß, dass Martin
die Bibel aktuell | 11
Luther Autor der ersten evangelischen Bilderbibel, „Passional“ genannt, war?
Im Jahre 1522 veröff entlichte Martin Luther „Eyn bett
buchlin“. In der 24. Ausgabe von 1529 wurde eine 103 Seiten
umfassende Bilderbibel unter dem Titel „Passional“
hinzugefügt und der Titel erweitert: „Ein betbüchlin mit
eym Calender und Passional (Wittemberg 1529)“. Mit diesem
Text erschienen bis 1604 weitere 24 Aufl agen. Als
selbstständige Veröff entlichung erschien das „Passional“
im 16. Jh. noch in deutscher (13-mal), lateinischer (4-mal),
niederländischer (1-mal) und
dänischer (6-mal) Sprache.
Das ergibt 49 Aufl agen bzw.
63.000 gedruckte Exemplare.
Im Vorwort des „Passional“
schreibt Martin Luther:
„Ich habs für gut angesehen
das alte Passional buechlin zu
dem bettbuechlin zu thun /
allermeist vmb der kinder
und einfeltigen willen / welche
durch bildnis und gleichnis
besser beweget werden /
die Göttlichen geschicht zu
behalten.“ Damit werden
„Kinder und Einfeltige“ als
Adressaten genannt. Luthers
hohe Wertschätzung galt den Kindern, weil sie Gottes
Geschöpfe sind. Im „kindlichen Stand“ sah er das Menschliche
in seiner schönsten Gestalt. Das Kind konnte er als
„Vorbild des wahren Christenlebens“ bezeichnen.
„umb der kinder und einfeltigen willen“
Mit „einfeltig“ bezeichnete man „Ungebildete“ im Sinne
von schulischer und akademischer Bildung (keine Lateinkenntnisse).
Der Begriff „einfeltig“ hat aber bei Luther
eine sehr positive Konnotation. Er konnte damit z. B. die
Schlichtheit und Verständlichkeit einer Auslegung oder die
Redlichkeit und Frömmigkeit eines Menschen bezeichnen.
Mit dem „Passional“ schuf Luther ein literarisches
Genre, das dem reformatorischen „Allein die Schrift “
gemäß ist. Es enthält eine Auswahl von 50 zentralen biblischen
Geschichten. Darauf sind die 50 Bilder des „Passional“
unmittelbar bezogen. Die Bilder gehen auf Georg
Lemberger zurück. Die Holzschnitte sind einfach, ohne
große Verzierungen und ohne Hintergrund gestaltet.
Mit 11 alttestamentlichen
und 39
neutestamentlichen
Texten und Bildern
wird die gesamte
Heilsgeschichte
dargestellt – von der
Schöpfung und dem
Sündenfall bis zum
Wiederkommen
Christi am Jüngsten
Tag und der Aussendung
der Jünger
(Missionsbefehl).
Luther griff mit dem „Passional“ auf ein gängiges spätmittelalterlich
frühneuzeitliches literarisches Genus zurück,
das als Adressatengruppe die Erwachsenen im Blick
hatte. Aber er fügt zu den „Einfeltigen“ bewusst die Kinder
hinzu. Damit hat er die Gattung des „Passional“ im Sinne
einer Lebens- und Leidensgeschichte „umkodiert“ und
zu einem „Biblischen Bilderbuch“ der Heilsgeschichte
gemacht und die erste evangelische Bilderbibel für Kinder
und Erwachsene geschaff en.
Das „Passional“ war lange Zeit in Vergessenheit geraten.
Angesichts der 500-Jahr-Feier der Reformation ist es an
der Zeit, auf diese kleine Kostbarkeit aus Luthers literarischem
Schaff en aufmerksam zu machen.
Dr. Gottfried Adam war von
1992–2008 Professor für Religionspädagogik
an der Evangelisch-Th eologischen
Fakultät der Universität
Wien.
Literatur-Tipp
Martin Luther, Passional. Mit 50 Abbildungen. Herausgegeben
und kommentiert von Gottfried Adam, Münster: LIT Verlag 2017.
103 Seiten, ISBN 978-3-8258-7766-8, € 14,90
Titelblatt der Ausgabe 1529
Die Taufe Jesu (Mt 3,13 f.)