Reformationsjubiläum ✛
Das 1526 erschienene Neue Testament von Jakob Beringer enthielt
Bilder und Lerngedichte.
die Bibel aktuell | 13
Übersetzungen der „Altgläubigen“
Selbst die „Altgläubigen“, wie die Gegner der Reformation
genannt wurden, veröff entlichten deutsche Bibeln. 1527
erschien das Neue Testament des Hieronymus Emser in
Dresden, der dem Reformator seit 1519 „Irrtümer und
Lügen“ in seiner Übersetzung unterstellte. Anmerkungen
dieser Bibel enthalten Kommentare wie, dass sich Luther
neue Augengläser kaufen solle. Der Mainzer Professor
Johannes Dietenberger veröff entlichte bereits 1534 eine
Vollbibel, die bis ins 18. Jahrhundert nachgedruckt wurde.
Selbst Johannes Eck, Gegner Luthers bei der Leipziger
Disputation (1519), gab 1537 eine oberdeutsche Bibelübersetzung
heraus. Allerdings beendete das Konzil von Trient
die Übersetzungsarbeit auf katholischer Seite, indem 1546
die lateinische Vulgata als allein maßgebliche Ausgabe für
Liturgie und Lehre bestimmt wurde. Eine Besonderheit ist
das 1526 in Straßburg erschienene und für die Stadt Speyer
bestimmte Neue Testament des Domvikars Jakob Beringer.
Dieser verbreitete sein Neues Testament unter den Augen
des reformationsfeindlichen Speyerer Bischofs. Es enthielt
eine Evangelienharmonie – und die neutestamentlichen
Briefe in der Übersetzung von Luther.
Tossanus- und Piscatorbibel
Eine Neuerung ergab sich, als die Kurpfalz sich 1563 dem
reformierten Glauben anschloss und mit dem Heidelberger
Katechismus von Zacharias Ursinus eine zentrale
reformierte Bekenntnisschrift schuf. Man gab 1568/69 in
Heidelberg und 1579 in Neustadt an der Haardt (heute: an
der Weinstraße) eine Lutherbibel ohne die Anmerkungen
des Reformators und mit der neuen Verszählung heraus,
die auf der Arbeit des Genfer Druckers und Verlegers
Robert Estienne basierte. In Neustadt entstand 1587/88
eine Bibelausgabe, bei der der Ursinusschüler David Paräus
erstmals reformierte Kommentare hinzufügte. Paul
Tossanus vollendete diese Kommentierung und schuf 1617
mit der Tossanusbibel, die später in Basel nachgedruckt
wurde, das erste Bibelwerk, das heißt, die erste vollständig
kommentierte reformierte Bibelausgabe.
Während Luther und Zwingli einen Mittelweg zwischen
urtextnaher und verständnisorientierter Übersetzung
suchten, begann Johann Piscator um 1580 mit einer urtextnahen
Übersetzung, die er in Herborn ab 1603 vollendete.
Bis die Elberfelder Bibel im 19. Jahrhundert die
Piscator-Bibel als urtextnahe Übersetzung ablöste, wurde
diese vornehmlich in der Schweiz nachgedruckt.
Bibel für Leseanfänger
Die Reformation brachte auch eine neue Gattung von Bibelausgaben
hervor: Bibeln für Kinder und „Unverständige“,
das heißt Menschen, die nicht lesen konnten. Luther betonte
in seinen Schrift en an den Adel (1520) und an die Ratsherren
der Städte (1524), dass es eine vornehmliche Aufgabe sein
soll, Schulen zu errichten, damit Jungen und auch Mädchen
in der Bibel lesen können. Alle Reformatoren hatten dieses
Ziel. So brauchte man Bibelausgaben, die Leseanfängerinnen
und -anfängern den Zugang zur Bibel leicht machten. Als
frühes Beispiel einer Lernbibel gilt das oben genannte Neue
Testament von Jakob Beringer, dem Bilder und Lerngedichte
beigefügt waren. Luthers „Passional“ (1529) enthielt Bilder
mit kurzen Texten. Die in Frankfurt bei Christian Egenolff
1534 erschienene kleine Lernbibel „Biblische Figuren“ war
mit kurzen deutschen und lateinischen Texten ausgestattet
und Wendelin Rihels „Straßburger Leien-Bibel“ waren
Lerngedichte zu den Bibeltexten beigegeben.
Die Reformationszeit brachte eine Vielfalt von Bibelübersetzungen
und Bibelausgaben hervor, um sich auf
unterschiedliche Weise dem Wort Gottes anzunähern.
Dieser reformatorische Impuls wirkt heute mit derzeit
rund 200 Kinderbibeln und etwa 35 deutschen Bibelübersetzungen
fort.
Michael Landgraf ist evangelischer
Th eologe, Religionspädagoge und
Schrift steller in Neustadt an der
Weinstraße in Deutschland. Er ist
Autor von zahlreichen Ausstellungen
und Büchern zur Bibel, unter anderem
„Kinderbibel damals-heute-morgen“
und „Evangelisch – was heißt das?“.
Foto: Michael Landgraf Foto: Michael Landgraf