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✛ Österreich Interview A. F. „Ich lese die Bibel freiheitsorientiert!“ A. F.* hat im Gefängnis begonnen, Theologie zu studieren. Den Anstoß dazu lieferte eine Bibel, die er durch einen Gefangenenseelsorger erhalten hat. Bei seinem ersten Freigang („Unterbrechung der Unterbringung“) nach fünfeinhalb Jahren besuchte er das Bibel zentrum, um sich für die kostenlosen Bibeln zu bedanken und für die Briefe, die ihn im Gefängnis ermutigt haben. Mit ihm sprachen Stephanie Moser und Kerstin Böhm. Wie ist es jetzt, nach so langer Zeit erstmals wieder heraußen zu sein? Beim Ausgang am ersten Tag war mir zuerst mal nur schlecht. Fünfeinhalb Jahre immer die gleichen Leute, immer die gleichen Räume … Was Gefängnis ist, das sind nicht nur die Mauern. Gefängnis, das ist eine sehr kalte Atmosphäre, depressiv, aggressiv, schlechte Stimmung. Und heraußen kannst du auf einmal machen, was du willst. Das ist schon auch eine Überforderung, eine Reizüberfl utung. Man nimmt auch alles ganz anders wahr, achtet auf Sachen wie Blumen, Pfl astersteine, die Stuck-Verzierungen an den Häusern … Haben Sie sich bereits vor Ihrer Haft - strafe mit der Bibel beschäft igt? Nein, ich habe früher nie in der Bibel gelesen, aber es war für mich immer ein Lebensziel, sie mal ganz gelesen zu haben. Dann war ich in U-Haft in einem Acht-Mann-Haft raum; da sitzt du den ganzen Tag in einem Kammerl und nix passiert. Ich bin einer, der seine Zeit gerne nutzt. Ich habe zu dem Seelsorger gesagt: „Ich hätte gerne eine Bibel, mir ist fad.“ 10 | die Bibel aktuell Erinnern Sie sich noch an die erste Bibel, die sie erhalten haben? Meine erste Bibel, ja, das war eine uralte Bibel, eine Einheitsübersetzung aus den 80ern, ein gammeliges Teil … Ich habe mich hingesetzt mit der Bibel und gelesen. Manchmal zwei, manchmal 12 Stunden am Tag, so, wie,s halt gegangen ist. Ich wollte sie nicht so schnell, schnell durchlesen; ich wollte nicht nur lesen, sondern auch verinnerlichen. In drei Monaten war ich durch. Und jetzt studieren Sie sogar. Wie funktioniert eigentlich ein Studium im Gefängnis, praktisch gesehen? Ich sitze im Haft raum und lerne das alles. Ich lerne nicht auswendig, sondern schaue mir die Sachen im Kontext an, versuche, Vernetzungen herzustellen. Ein Professor meinte nach einer Prüfung, das sei ja ein Wahnsinn, dass ich unter diesen Umständen so gute Leistungen bringe. Verfolgen Sie bestimmte Zukunft spläne mit dem Studium? Englisch wird heuer noch fertig, und Jus und Th eologie möchte ich nach der Entlassung fertig machen. Ich möchte einmal im Menschenrechtsbereich tätig sein. Th eologie ist dabei wichtig, weil sehr viel Ethik im Th eologiestudium enthalten ist. Ich lese die Bibel freiheitsorientiert, auch im Sinne einer Befreiungstheologie. Haben Sie die Bücher, die Sie von uns erhalten haben, schon verwenden können? Ja, die Bibel habe ich schon verwenden können, und sonst habe ich die Bücher in petto. Ich verborge auch Bibeln, wenn die Anstaltsbibliothek geschlossen ist. Es sind jetzt nicht die großen Anstürme. Aber ich habe schon einige. Ich lasse sie dann eine aussuchen, und wenn einem die blaue gefällt, sage ich: „Gut, nimm die blaue.“ Das muss dann ja sofort sein, dass jemand eine Bibel kriegt. Der hat ja momentan Lust zu lesen, und wenn das dann nicht gleich ist, verliert er die vielleicht. Ist nach Ihrer persönlichen Einschätzung das Angebot der Bibelgesellschaft im Gefängnis ausreichend bekannt? Jetzt schon, weil ich ja darüber rede und Mundpropaganda mache! (lacht) Generell ist es so, dass man als Gefangener ein Informationsdefi zit hat. Wenn man etwas erfährt, dann über die Seelsorger. Vielen herzlichen Dank für Ihren Besuch und das Gespräch! Ich freue mich sehr, dass ich die Möglichkeit hatte, hier zu sein! Die Bibelspende für A. F., der inzwischen aus der Haft entlassen wurde, ist ein Beispiel für die unzähligen Bibeln, die jedes Jahr in die Haft anstalten gehen. Vielen herzlichen Dank an Sie, die dieses Projekt mit Ihrer Spende in der Vergangenheit unterstützt haben oder laufend unterstützen! * Name geändert Foto: Fotolia/#53041025 © viperagp


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