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Die Bibel ausgelegt ✛ Jahreslosung 2016 Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Jesaja 66,13 (Luther-Bibel) „Trost, das heißt, ich bin mit dem, was mich belastet, bewegt und bedrückt, nicht mehr allein.“ die Bibel aktuell | 9 Still wie ein solches Kind bin ich geworden Es gibt unter den Psalmen einen, der mir zu einem tragenden Bild geworden ist – anlässlich der Beerdigung meines Vaters. Es war dieses Bild des tiefen Vertrauens auf die bergende Liebe Gottes: Herr, ich denke nicht zu hoch von mir, ich schaue auf niemand herab. Ich frage nicht nach weit gesteckten Zielen, die unerreichbar für mich sind. Nein, still und ruhig ist mein Herz, so wie ein sattes Kind im Arm der Mutter – still wie ein solches Kind bin ich geworden. (Psalm 131,1-2 Gute-Nachricht-Bibel) Es ist dieses Bild eines Menschen, der im Vertrauen auf Gott zur Ruhe kommt, Frieden fi ndet, das sich für mich mit der Jahreslosung verbindet. Es ist das Bild der Geborgenheit des Kindes bei der Mutter, das der Prophet aufnimmt. In der Gottesrede wird es zur Selbstaussage des Allmächtigen, der seinen Menschenkindern verheißt, genauso an ihnen zu handeln, wie eine Mutter das mit ihrem Kind tut: es liebkosen, es an sich drücken, es stillen. Ein einzigartiges Bild … Nur hier in der Bibel vergleicht sich Gott in seinem Handeln mit dem einer Mutter. Und doch: an anderer Stelle (Jesaja 49,15) spricht er von einer Mutter, der es doch eigentlich nicht möglich ist, ihr Kind zu vergessen. Und selbst wenn das in menschlichen Grenzfällen möglich ist, ihm, Gott, ist es nicht möglich, sein Volk, sein Kind zu vergessen. Schon der Kirchenvater Hieronymus (4. Jhdt.) hat darauf verwiesen, dass Jesus (Mt 23,37) gleichnishaft davon reden konnte, dass er Jerusalem um sich versammeln wollte, wie eine Henne ihre Küken unter ihren Flügeln birgt. … seine Übersetzung In der Einheitsübersetzung lautet unser Vers korrekt: „Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch“. Die Luther-Bibel macht aus diesem nüchternen Satz einen, der gleichsam zu leuchten beginnt, und zwar indem sie die Satzstellung umdreht: nicht der Vergleich steht am Beginn, sondern die Willenserklärung Gottes. Sie erhält dadurch eine besondere Betonung. …und seine Entfaltung Das Bild des Tröstens ist mannigfaltig. Kinder werden auf den Schoß genommen, in die Arme geschlossen, gestreichelt. Auch zwischen Erwachsenen bedeutet Trost sehr oft Berührung und körperliche Nähe. Denn das ist Trost: jemandem zu zeigen, ich bin jetzt ganz bei dir. Trost, das heißt, ich bin mit dem, was mich belastet, bewegt und bedrückt, nicht mehr allein. Die Wirkung des Trostes ist, dass zunächst alles ins Fließen kommt. Das, was nicht ausgesprochen werden konnte, das kann jetzt in Worte gefasst werden. Auch die Tränen können ins Fließen kommen. Weil da jemand ist, jemand, der bleibt, deshalb kann der Schmerz artikuliert werden. Wenn ich getröstet bin, dann atme ich durch, komme zur Ruhe, bin gestärkt, bin fähig, meinem Leben und seinen Herausforderungen entgegenzutreten. Trost ist keine Regression, keine Flucht zurück in den Mutterleib. Trost ist die unmittelbare aber vorübergehende Erfahrung eines Friedens, der mir hilft , in den Spannungen des alltäglichen Lebens zu bestehen. Der „Gott allen Trostes“ (2 Kor 1,3) ist zugleich jener Gott, der uns herausfordert, zu glauben, zu hoff en, zu lieben. In dieser Herausforderung ist er zugleich der Gott, der uns begegnet, wie er Elia begegnet ist, als dieser am Ende war (1 Kön 19). Dr. Gerold Lehner ist Superintendent der evang. Diözese A. B. Oberösterreich. Er arbeitet im Vorstand der Österreichischen Bibelgesellschaft mit; ab April 2016 als deren Präsident. Foto: Inna Vlasova/Fotolia


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