06 DIE BIBEL IN DER UKRAINE
Im „Haus der Gnade“ finden Menschen, die von der Gesellschaft aus-geschlossen
sind, ein Zuhause. Foto: Kristina Gogiya
denken. Die Ärzte sagten Sergei, dass er wahrscheinlich
nie wieder gehen könne. Er war am Boden zerstört. Wie
durch Zufall stieß er auf einen alten Freund, der selbst
eine schwierige Vergangenheit hatte. Dieser berichtete
Sergei von Heiratsplänen, und dass er in einer Reha-Kli-nik
gewesen sei, die von einer Kirche betrieben werde.
Der Freund lud Sergei zu seiner Hochzeit ein und emp-fahl
ihm, auch zum Entzug in die Reha-Klinik zu gehen.
Doch es sollte noch einige Jahre dauern, bis Sergei so
weit war.
DIE BIBEL GIBT DEN MENSCHEN KRAFT
Er war von dem neuen Leben, das er bei seinem Freund
und dessen Frau wahrnahm, fasziniert. „Sie sagten, sie
hätten ihr Leben Gott gewidmet. Meine Frau ist auch
immer in die Kirche gegangen, doch das war eigentlich
nichts für mich.“ Letztendlich entschloss sich Sergei zum
Entzug in der Klinik. Es dauerte einige Jahre, bis er es
geschafft hatte, sein Leben grundlegend zu ändern. In
der Klinik machte er Bekanntschaft mit Menschen, die
durch Unfälle oder schwere Krankheit gelähmt waren. Er
fing an, sie regelmäßig zu besuchen. Bei seinen Besuchen
brachte er jedes Mal eine Bibel mit und las daraus vor.
„
ICH DURFTE DURCH
MEINE ARBEIT IMMER
WIEDER ERLEBEN, WIE
SICH DAS LEBEN
VIELER MENSCHEN NACH
UND NACH VERÄNDERTE.
SERGEI
Seine Frau ging weiterhin regelmäßig in die Kirche, wäh-rend
Sergei den Weg manchmal nicht schaffte. Im Herbst
und Winter war der Weg mit dem Rollstuhl einfach zu
mühsam. Eines Tages nahm Sergei ihn auf sich, weil ein
bekannter Prediger in der Gemeinde zu Besuch war. Im
Gottesdienst fragte der Pastor, ob jemand etwas auf dem
Herzen habe, das er mit der Gemeinschaft teilen möchte.
Sergei zögerte zunächst, hob aber schließlich die Hand
und erzählte, wie schwierig es für ihn sei, im Rollstuhl zu
sitzen. Die Gemeinde war von Sergeis Situation sehr be-wegt
und gemeinsam wurde für ihn gebetet.
SCHRITT FÜR SCHRITT
Heute geht Sergei auf Krücken, den Rollstuhl nutzt er
nur noch gelegentlich, um seinen Körper zu entlasten.
Sein Leben ist immer noch ein täglicher Kampf, doch der
Glauben an Gott begleitet ihn. „Ich wurde nicht so gebo-ren“,
sagt Sergei und zeigt auf seine Beine. „Viele der an-deren
Menschen mit Behinderung waren von Geburt an
blind, gelähmt oder krank.“ Sergei versorgte in der Klinik
bettlägerige Patienten und leistete den Menschen Bei-stand:
„Die Belastung war wirklich groß, aber ich durfte
durch meine Arbeit immer wieder erleben, wie sich das
Leben vieler Menschen nach und nach veränderte.“
DAS „HAUS DER GNADE“ ENTSTEHT
Vor über zehn Jahren eröffnete Sergei dann sein „Haus
der Gnade“. Zwanzig erwachsene Männer jeden Alters
leben mittlerweile im Haus und werden versorgt. Manche
sind bettlägerig, andere brauchen Krücken oder sitzen im
Rollstuhl. Oft sind es Menschen, die von der Gesellschaft
ausgeschlossen sind, und die von Familie und Freun-den
im Stich gelassen wurden. Suchtkranke, ehemalige