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✛ Die Bibel ausgelegt Metamorphosis – Die Verklärung Jesu Christi auf einem „hohen Berg“ 1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. 2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. 4 Petrus aber fi ng an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen: dir eine, Mose eine und Elia eine. (Matthäus 17, 1-4, Lutherbibel) Die Verklärung (metamorphosis) Jesu Christi auf „einem hohen Berg“, vor den Augen der drei Jünger, ist ein wenig beachteter Moment im Leben Jesu. Ein gewisses modernes Unbehagen, dieses zu phantastisch klingende Geschehen theologisch und existentiell einzuordnen, mag dafür ein Grund sein. Andererseits liegt kein Zweifel 12 | die Bibel aktuell darin, dass die Evangelien dieser Erfahrung eine zentrale Rolle auf dem Weg zur Erkenntnis Jesu als Sohn Gottes (Mt 17,5) zuweisen. Dabei hat die Beschrei bung der Ver klä rung bei genauerem Be trachten nichts Mythisches an sich: Alles wird aus der Sicht der drei Jünger wiedergegeben und als neue Dimension ihrer Erfahrung des einen Jesus gedeutet. Dazu gehört nicht nur die lichtvolle Wucht der Herrlichkeit seiner Gestalt, sondern auch die innige Verbindung zum Bund mit dem Volk Israel (Mose und Elias), die in der messianischen Gottessohnschaft s-Aussage der „Stimme aus der Wolke“ gipfelt. Dabei trägt diese Erfahrung einen Vorwegnahme-Charakter, die erst bei der Auferstehung Jesu von den Toten (Mt 17, 9) Erfüllung fi nden soll. Die Schweigepfl icht betont die Einmaligkeit und zugleich die Fragilität dieses Moments. Die Herrlichkeit Gottes wirkt in der Geborgenheit der persönlichen Begegnung. Sicherlich hat(te) die Verklärungsszene für das theologische Verständnis Jesu Christi eine Schlüsselposition: der von seiner göttlichen Herrlichkeit (doxa) entleerte menschgewordene Gottessohn bringt drei Menschen in die Erfahrungsnähe seines Gott-menschlichen Mysteriums. Ebenso ist die Verklärung ein Referenzpunkt für das, was wir „christliche Spiritualität“ oder „Mystik“ nennen. Vor allem in der Ostkirche war der Weg der Gotteserfahrung stark angelehnt an Motive der Verklärung: die Askese (Emporsteigen auf einen „hohen Berg“), die Schau des Lichtes Christi, die Vorwegnahme der endzeitlichen Herrlichkeit im Hier und Jetzt. Die Betonung liegt auf dem Wegcharakter dieser Erfahrung: „Du zeigtest Deinen Jüngern Deine Herrlichkeit, soweit sie dieselbe zu ertragen vermochten …“, so ein Hymnus der Orthodoxen Kirche. Was mich persönlich bei diesem Bericht fasziniert, ist der Moment der unmittelbaren Begegnung zwischen Mensch und Gott. Sie ist geprägt von Innigkeit und Schönheit, zugleich bringt sie einen durcheinander (Mk 9,6) und öff net Raum für neue Fragen (Mk 9,10). Das Ergebnis der tiefsten Gotteserfahrung ist nicht Selbstsicherheit, sondern Demut und sehnsuchtsvolle Zuversicht. Nicht erst die exklusiven Höhen der Mystik sind mit dieser Erfahrung vergleichbar, sondern viele Momente unserer Existenz, die sich wie endlose und mühsame Bergaufstiege anfühlen. Plötzlich bekommt alles einen Sinn, das Alte wird verklärt, Gott ist unmittelbar da. Sind die Augen off en, dann kann der Alltag zum Ort der Gotteserfahrung(en) werden. Pfarrer Dr. Ioan Moga, Rumänisch Orthodoxe Kirche, ist seit Mai 2014 Mitglied im Vorstand der Österreichischen Bibelgesellschaft .


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