Mit 60 ein neues Leben begonnen
Nach den ersten Unsicherheiten fi ndet
sich der St. Johanner im Haushalt rasch
zurecht. Unterstützt von der „Mobilen
Begleitung“ macht er bald selbst seine
Wäsche und bügelt sie auch. Werner
Parth lernt schnell, außer einer kalten
Platte auch Pizza, Fischstäbchen oder
Palatschinken zuzubereiten.
Am Anfang besucht er öfter seine
Schwester, die nur zehn Minuten von
ihm entfernt wohnt. Als sie ihm aber
unlängst eine zweite Tasse Kaffee
anbietet, lehnt er ab: „Ich muss zurück.
Denn meine Mitbewohnerin Barbara ist
auch nicht gerne allein!“
Die Wochenenden, an denen seine
Mitbewohnerin zu ihren Eltern fährt,
verbringt Werner Parth jetzt lieber
allein. Er genießt seine neue Freiheit
und unternimmt etwas mit seinem
Begleiter. Seine Schwester ist „beeindruckt,
wie wohl sich mein Bruder dort
bereits fühlt“. Sie spricht der Lebenshilfe
ein großes Lob dafür aus, wie
sie Menschen in die Selbständigkeit
begleitet. „Das gibt auch mir große
Sicherheit!“
„Menschen in die Selbständigkeit
zu begleiten,
verlangt Einsatz. Weil alle
dahinterstehen, haben wir
ein beständiges Team.“
Thomas Viertl, Mobile Begleitung
„Nach 33 Jahren endlich wieder durchschlafen“
Imst/Karrösten Christian Krabacher
lebte 33 Jahre lang bei seinen Eltern.
Wenn er sich unsicher fühlt und ihm
etwas Kummer bereitet, schlägt er
sich ins Gesicht, bis er blutet. „Das war
belastend. Rund um die Uhr musste
jemand für ihn da sein. Lange trauten
mein Mann und ich uns kaum, richtig
einzuschlafen. Wir mussten immer zur
Stelle sein“, erinnert sich die Mutter.
Weil die Eltern an ihre Grenzen kamen,
suchten sie lange nach einem Platz mit
Vollzeitbegleitung. Christian Krabacher
verbrachte eine Nacht in der Wohngemeinschaft
– und der Versuch gelang.
„Wir kannten seine Lebensgewohnheiten
und respektierten ihn“, erzählt der
Leiter des Wohnhauses. „Darum hat es
dann auch gleich gut funktioniert.“
Der Plan, die Wochenenden daheim zu
verbringen, stellte sich bald als überfl
üssig heraus. „Offensichtlich erlebt
Christian die Wohngemeinschaft als
vertrautes Umfeld und fühlt sich
bei den Bezugspersonen emotional
geborgen“, stellt die Mutter fest. Die
Tagesabläufe sind so strukturiert, dass
er sich sicher fühlt und seltener selbst
verletzt.
Stattdessen probiert der Erwachsene
jetzt ganz neue Verhaltensweisen aus,
die er daheim stets verweigert hat:
Er kostet erstmals die Paprika-Chips
eines Mitbewohners oder setzt wie
andere eine Mütze auf, wenn es draußen
kalt ist. „Dabei hat er in seinem
Leben noch nie eine Mütze aufgelassen“,
erzählt die Mutter. Sie erholt sich
gerade von einer Knieoperation, die
durch den Auszug des Sohnes nun endlich
möglich wurde.
„Wenn es ihm in der Lebenshilfe weiterhin
so gut gefällt, fällt Stück um Stück
eine Last von mir ab!“
Neue Eigenständigkeit: Werner Parth
lernt, für sich zu sorgen
St. Johann i. T. Lange Zeit wurde
Werner Parth von seiner Mutter und
seiner Schwester bekocht und versorgt.
Als er im Sommer 2020 eine Wohnung
angeboten bekommt, verändert sich
sein Leben.
Teepflücker von Beruf
Lienz Patrick Walder arbeitet dreimal
pro Woche für die Firma Teegarten.
„Patrick ist ein starker Mann, der uns
im Frühling und beim Ernten viel Arbeit
abnimmt“, lobt ihn seine Chefi n.
Der 37-Jährige kommt auch zum Kaffeetrinken
zu ihr nach Hause und gehört
schon „fast zur Familie“. Von dort geht
er in den Garten und kümmert sich um
Anbau, Pfl ege und Ernte der Teekräuter.
Am Ende der Gartensaison freut er sich
schon auf die nächste: „Wenn sie mich
brauchen, komm‘ ich wieder!“
12 LEBENS.WELT 20-4