DIE BIBEL AUSGELEGT 11
Ich denke mir, dass es Jeremia nicht viel anders gegan-gen
sein könnte, als Gott ihn plötzlich anspricht und ihn
als Propheten für die Völker beruft. Das ist ja doch eine
sehr große und verantwortungsvolle Aufgabe. Menschen
in der Bibel reagieren sehr unterschiedlich auf diesen Be-rufungsruf
Gottes. Es wird uns erzählt von den Jüngern,
die dem Ruf Jesu ohne Zögern folgen, von dem Zöllner
Levi, der ebenfalls alles stehen und liegen lässt und Jesus
nachfolgt. Ebenso erwähnt wird der reiche Mann, der es
nicht übers Herz bringt, seinen Besitz aufzugeben und
Jesus nachzufolgen und von Mose, der seine Berufung
wahrnehmen möchte, aber auch ein paar Ausreden parat
hat. Jeremia reagiert auf die Aufforderung Gottes zuerst
mit einer Ausrede: „Ich bin zu jung!“ Er findet selbst
einen Grund, warum das, was Gott mit ihm vorhat, nicht
funktionieren kann: Er ist zu jung, um Prophet zu wer-den.
Würde er diesen Berufungsruf annehmen, müsste
er aus seiner Komfortzone heraustreten und sich auf ihm
unbekannte Dinge einlassen.
Meine persönliche Erfahrung ist, dass die Komfortzone
nicht grundsätzlich schlecht ist. Sie gibt mir Halt und
Sicherheit und hilft mir, mich im Alltag zurechtzufinden.
Aber ehrlich gesagt, glaube ich auch, dass es von Zeit
zu Zeit gut und wichtig ist, diese zu hinterfragen. Wo
habe ich mich unbewusst angepasst? Ab wann beginnt
der Moment, dass ich mich im Kreis drehe? Aus welchen
Motiven und Beweggründen ist sie denn eigentlich ent-standen?
Die Komfortzone zu verlassen bedeutet auch, einen
Schritt nach vorne zu gehen, also den Sprung ins kalte
Wasser zu wagen und sich auf Neues einzulassen sowie
Verantwortung zu übernehmen. Aber warum soll ich
dieses Wagnis eingehen? Es steckt darin die Chance, den
Horizont zu erweitern und persönlich zu wachsen.
Das Schöne daran ist: Wenn Gott mich aus meiner Kom-fortzone
herausruft, dann fordert er mich nicht nur, son-dern
er fördert mich auch. Diesen Balanceakt zwischen
Herausforderung und Förderung kann ich im Vertrauen
auf Gottes Begleitung bewältigen. Denn was in Jeremia
1,7 zunächst wie ein Befehl klingt, wenn Gott sagt „du
sollst gehen“, wird mit der Zusage Gottes in V.8 verbun-den:
„Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir
und will dich erretten, spricht der HERR.“
Ein kleines Gedankenspiel: Das Verb „ausreden“ bedeu-tet
bei den meisten Menschen im Kontext unangenehmer
Situationen: sich selbst herausreden. Es gibt noch eine
weitere Bedeutung des Wortes, die in diesem Zusam-menhang
interessant wird. „Ausreden“ bedeutet nämlich
auch: „Jemanden ausreden lassen, fertig reden lassen,
weiter zuzuhören und einen Gedanken fertig darlegen
lassen“. Dieser Jemand ist in dieser Bibelstelle Gott.
Was, wenn dieses „ausreden“ bedeutet, Gott ausreden
zu lassen? Dann müsste ich mich bei einer unangeneh-men
Entscheidung oder einem ungewissen Weg nicht
selbst rausreden. Dieses Ausredenlassen Gottes bedeu-tet
dann aber auch, weiter zuzuhören und sich darauf
einzulassen, was Gott zu sagen hat.
„Fürchte dich nicht“ ist die großartige Zusage Gottes
an Jeremia. Letztendlich lässt Jeremia Gott in einer für
ihn unvorstellbaren Aufgabe ausreden. Gott schenkt
Jeremia die Zusage, dass er sich immer - auch außerhalb
seiner Komfortzone - nicht fürchten muss und er ihm bei
seinem Sprung ins kalte Wasser, den Berufungsruf anzu-nehmen,
beisteht und immer beistehen wird.
Von Jeremia zurück zu meinem Alltag: Wo gibt es Situ-ationen,
in denen ich mich selbst rausreden will, weil ich
meine Komfortzone nicht verlassen will? Und an welchen
Stellen meiner Ausreden ist es Wert, Gott ausreden zu
lassen?
Wenn mir das gelingt, habe ich von Jeremia gelernt, dass
ich persönlich weiter wachsen und meine eigene Kom-fortzone
erweitern kann.
Es tut gut zu wissen, dass Gott mir an vielen Stellen
in der Bibel seine Begleitung auch innerhalb meiner
Komfortzone verspricht. Ich muss nicht immer sofort
den Sprung ins kalte Wasser wagen, aber wenn Gott
mich beruft, dann springe ich wohl oder übel: Mit ihm an
meiner Hand!
Nora Matern
Nora Matern ist jüngstes Mit-glied
im Team der Bibelgesell-schaft
und arbeitet im Bereich
Öffentlichkeitsarbeit/Fundrai-sing.
Sie studiert evangelische
Theologie. Foto: privat