DIE BIBEL AUSGELEGT 11
Ob wir Maria Magdalena nur als Frau wahrnehmen, oder
als eine von einem Leben in Abhängigkeit Befreite, sie
war jedenfalls am Rand der Gesellschaft. Jesus erscheint
ihr als Gärtner, denn auch Gärtner waren damals nicht
besonders angesehen. Interessanterweise erkennt Maria
Jesus nur an seiner Stimme. Hierzu bemerkt der hei-lige
Johannes Chrysostomos, dass Jesus ihr das große
Geheimnis offenbarte, als er es für richtig hielt. Generell
habe Jesus seine Gegenwart nicht durch sein Erschei-nen,
sondern durch sein Wort verkündet. So spricht er,
um Maria davon zu überzeugen, dass er nicht tot ist,
sondern lebt. Es gibt verschiedene Theorien, warum
Jesus ausgerechnet Maria Magdalena erschienen ist. Der
heilige Grigor Tatewazi führt unter anderen Gründen an,
„weil Frauen schwache Wesen sind und Jesus die Schwa-chen
stark macht“, oder „weil Frauen gerne gehen und
etwas mitteilen“.
Im Neuen Testament ist es nicht nur durch Maria, die
Mutter Jesu, durch die das Wesen der Frau neu definiert
wird. Durch die Erscheinung des auferstandenen Jesus
vor Maria aus Magdala werden Frauen wertgeschätzt
und wird ihnen die Hoffnung auf ein Leben in Gottes
Reich geschenkt. Durch das Zeugnis der Maria Magdale-na
wird uns die Auferstehung der Hoffnung auf Christus
geschenkt. Aber diese Hoffnung würde ohne unser ent-sprechendes
Bemühen nicht aufkeimen.
Im Jahr 1915 musste das armenische Volk den schreckli-chen
Genozid durchleben, bei dem mehr als 1,5 Millionen
Armenier zu Märtyrern wurden. Die Hoffnung auf Auf-erstehung
in Christus gab einem Rest dieses Volkes nicht
nur die Kraft zum Überleben, sondern auch den Mut,
1918 die Republik Armenien als unabhängigen Staat zu
schaffen. Nach nur zwei Jahren Unabhängigkeit kam Ar-menien
für mehr als 70 Jahre unter die kommunistische
Herrschaft der Sowjets. Angesichts der weltpolitischen
Lage und der militärischen Übermacht der Sowjetunion
gab es keine Hoffnung auf Befreiung. Doch die Hoffnung
auf Auferstehung in Christus war die ganze Zeit hindurch
in den Herzen der Menschen lebendig. Im Jahr 1991 wur-de
ein unabhängiger Staat Armenien gegründet. Doch
auch das war nur von kurzer Dauer und ein armenisches
totalitäres Regime wurde errichtet. Allein die Hoffnung
auf die Auferstehung in Christus half den Menschen. Wir
alle hofften auf neues Leben und wir alle glaubten, dass
Gott uns eines Tages befreien würde. Weil die Menschen
glaubten und hofften, setzten sie Schritte der Ablehnung
gegen dieses Regime, allerdings nicht Gewalt, sondern
durch gegenseitige Liebe und Hören auf Gottes Willen.
Heute leiden unsere Schwestern und Brüder in Bergkara-bach
und in Armenien und unschuldige Menschen ster-ben
bei der Verteidigung ihres Landes, aber ihr Glaube
bleibt. Sie hoffen auf die Auferstehung in Christus. Wir
beten für sie.
Heute sieht die ganze Welt zerstörte Häuser und Kirchen
und zerstörtes Leben vertriebener Menschen, die darauf
hoffen, Frieden zu finden und diese Häuser und ihr Leben
wieder aufzubauen. Wir alle sollten lebendige Hoffnung
nach Armenien und Bergkarabach bringen, indem wir
Mitleid zeigen und helfen.
Katholikos Aram I. sagte einmal: „Die Kirche ist in ihrem
Wesen eine Gemeinschaft des Glaubens an Jesus Chris-tus.
Die Kirche existiert nicht außerhalb unseres Lebens,
unserer Gedanken und unserer Sorgen. Wir sind als Kir-che
Gottes Volk, vereint in Christus und verbunden mit
dem Band der Liebe und getragen von der gemeinsamen
Hoffnung.“
So sollten wir an dieser Hoffnung in Christus festhalten
und daran arbeiten, indem wir unseren Teil dazu beitra-gen
und unsere Hand zu unseren Brüdern und Schwes-tern
ausstrecken.
Diese Bibelarbeit ist die gekürzte, überar-beitete
und neu übersetzte Fassung einer
Bibelarbeit, die bei der Vollversammlung
der Konferenz Europäischer Kirchen 2018
in Novi Sad gehalten wurde.
Dr. Marianna Apresyan
ist armenisch-apostoli-sche
Theologin und Pro-jektverantwortliche
bei
der Armenischen Bibel-gesellschaft,
vor allem
für Kinder- und Jugend-projekte.
Foto: privat