Jordanien ✛
Aarons Grab – biblische Gedenkstätte
Die jordanische Ausgrabungsstätte, die heute für die Bibelwissenschaft die wichtigste ist,
ist gleichzeitig auch die unbekannteste.
„Schon Jahrhunderte vor dem Bau des Klosters war
der Gipfel ein Pilgerort der Nabatäer, wie man auf
Inschriften der Pilger heute noch erkennen kann.“
Das islamische Grab auf dem Gipfel des Berges „Gebel Nabi Haroun“.
die Bibel aktuell | 7
Foto: Wikimedia/ Joneikifi
Aarons Grab ist von der jordanischen Stadt Petra, dem
regionalen Touristenmagnet, sichtbar. Es befi ndet sich
auf dem „Gebel Nabi Haroun“, der aus dem Arabischen
übersetzt „Berg des Propheten Aaron“ heißt. Auf Hebräisch
heißt der Gipfel „Har ha-Hor“, was mit „Berg von
Hor“ übersetzt wird.
Aaron wird gerne als Hohepriester bezeichnet. Der arabische
Name dieses Ortes erinnert uns daran, dass JHWH
(Eigenname Gottes) aus Mose einen Gott für den Pharao
gemacht hat und Aaron zum Propheten seines Bruders
Mose ernannt hat (2. Mos/Ex 7,1). Ein eigenartiger Vers,
der Mose quasi zu einem göttlichen Rang erhebt. Und
diese Beziehung Gott/Prophet fi ndet sich am Schluss der
Leben der beiden Brüder wieder: Der fast göttliche Mose
hat keine bekannte Grabstätte, aber der Leichnam des
Propheten Aaron ruht auf dem Berg Hor (4. Mos/Num
33,38; 5. Mos/Dtn 32,50). Alle Propheten haben ein Grab –
und vielfach mehrere (zweites Grab von Aaron: 5. Mos/
Dtn 10,6) – aber die Götter haben keines.
Der Berg Hor – nur zu Fuß erreichbar
Der „Gebel Nabi Haroun“ ist 1.336 Meter hoch und befi ndet
sich südwestlich von Petra. Er bildet die südöstliche
Grenze des versprochenen Landes (4. Mos/Num 34,7-8).
Der Berg hat eine große Bedeutung: Daran darf man die
Leserinnen und Leser der Bibel erinnern, ohne dass dadurch
der Ruhm des Berges Nebo geschmälert wird, von dem aus
man in der Weite das versprochene Land sieht (5. Mos/
Dtn 32,49; 34,1). Der Berg Nebo ist der Ort der Entfernung,
der „Har ha-Hor“ dagegen beherbergt die Grabstätte von
Aaron. Mit einem Touristenbus kann man auf den Gipfel des
Nebo fahren, aber die Spitze des „Har ha-Hor“ erreicht man
nur über einen stundenlangen, steilen Fußweg von Petra aus.
Da fi ndet man ein bescheidenes islamisches Grab, dessen
weiße Kuppel man bei klarem Wetter von Petra aus sehen
kann. Auf dem Vorsprung unter dem Gipfel kann man die
Ruinen des byzantinischen Klosters St. Aaron erkennen,
das Ende des 13. Jahrhunderts erbaut und 1980 von einer
fi nnischen Gruppe archäologisch untersucht wurde.
Pilgerort der Nabatäer
Schon Jahrhunderte vor dem Bau des Klosters war der Gipfel
ein Pilgerort der Nabatäer, wie man auf Inschrift en der
Pilger heute noch erkennen kann. Es ist auch fast sicher,
dass der Name des Bruders von Mose aus dem des Berges
gebildet wurde. Die Bibel hat häufi g alte Traditionen
aufgenommen und sie dadurch vor dem Verschwinden
bewahrt. Indem das Grab von Aaron auf dem Berg Hor
angesiedelt wurde, behielt dieser ehemalige Pilgerort eine
Bedeutung und die Christinnen und Christen konnten
dort das Gedenken Aarons ehren. Das Aufk ommen von
Pilgerfahrten nach Jerusalem schwächte das geistliche
Interesse am Berg von Aaron, aber die transjordanische
Entsprechung des Zionsbergs wurde nie vergessen.
Die kleine weiße Kuppel vom „Gebel Nabi Haroun“
erinnert uns daran, dass der bedeutende Mose einen älteren
Bruder hatte und auch eine Schwester, Mirjam, die
ebenfalls Prophetin war (2.Mos/Ex 15,20) und in Kadesch
(4.Mos/Num 20,1) begraben wurde. Nicht Mose
allein, sondern ein Team, hat, trotz der Spannungen und
Rivalitäten, das Volk Israel durch die Wüste ins gelobte
Land geführt.
Dr. Philippe Guillaume ist Vereinspräsident des Bibel-
und Orient-Museums in Fribourg in der Schweiz.