Die Bibel ausgelegt ✛
Die Zukunft beginnt klein und unscheinbar
„Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen
gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren
und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda
geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein,
mit dem man ihn nennen wird: ‚Der HERR ist unsere Gerechtigkeit‘.“
Jeremia 23,5 f. (Lutherbibel 2017)
die Bibel aktuell | 9
Endlich ist es soweit, endlich brennen die Kerzen am
Adventskranz – in den Kirchen und in den meisten
Wohnzimmern. Es ist, als ob eine neue Zeit beginnt. Die
Menschen stimmen sich ein auf das Versprechen, das die
Bibel gibt: Weihnachten ist die Zeit, zu der Jesus Christus
geboren ist und den Menschen das Heil bringt. Mit dem
Advent beginnt sozusagen der Countdown.
Dasselbe macht Jeremia mit seinen eigenen Worten.
Er spricht zu den Israeliten und verspricht ihnen einen
neue Zeit, eine neue Welt. Zu der Zeit war das Reich der
Juden in die beiden Staaten Juda im Süden und Israel im
Norden aufgeteilt. Wir schreiben das sechste Jahrhundert
vor Christus und die Juden waren aus ihrem Land vertrieben,
die Babylonier herrschten in ihrer Heimat. Eine
Katastrophe, denn zu der Zeit ging es immer auch darum,
welcher Gott der mächtigere war, mehr noch, welcher Gott
existiert und welcher nicht. Und weil die Babylonier die
Juden besiegt hatten, galt deren Gott als mächtiger. Die
Juden zweifelten an der Macht und auch an der Existenz
ihres Gottes. In diese Situation hinein ruft der Prophet
Jeremia eine neue Zeit aus, in der umfassendes Heil herrschen
wird, weil Gott regiert.
Jeremia spricht von einem „Spross“ aus dem Hause
Davids. Damit stellt er den neuen König, der für die Gerechtigkeit
und das Heil verantwortlich ist, in die Linie
des Königshauses Davids, so wie es die Evangelisten Lukas
und Matthäus auch tun, wenn sie davon erzählen, dass
Jesus Christus in Bethlehem, der Davidsstadt, auf die
Welt gekommen ist. Ein Spross ist grün und weist auf
das Leben. Daran erinnert der Adventskranz aus grünen
Tannenzweigen. In der kalten Zeit suchen die Menschen
Lebendiges, das hinweist auf das Leben.
Advent markiert den Anfang eines Wartens auf den,
von dem sich die Menschen so viel erhoff en – nicht zuletzt
ein neues Leben. Gott aber hat auf den ersten Blick all das
enttäuscht mit seinem Kommen als Kind, arm, schwach
und klein. So ähnlich wird es auch den Juden ergangen
sein, die mit ihrem Gott das radikale Scheitern erlebt haben.
Denn indem sie bei
den Babyloniern leben
müssen, können sie nicht
mehr zu ihrem Tempel in
Jerusalem und Gott anbeten.
Gott hat mit seinem
Scheitern den Juden die
Möglichkeit genommen,
ihn auf rechte Weise zu
verehren. In diese tiefe
Depression hinein predigt
Jeremia. Er spricht
von der Zukunft , wenn
der neue König kommen
wird und Gerechtigkeit und Heil bringt. Auch der Advent
spricht von der Zukunft , wenn Weihnachten kommt
und damit die Erinnerung, dass Gott Mensch geworden
ist. Jeremia verspricht den Menschen all das, was sie sich
erhoff en. Zu Weihnachten legen die Menschen auch all
ihre Hoff nungen auf Gott: dass sie die Menschen um sich
herum sammeln, die sie lieben, dass die Geschenke und
die Aufmerksamkeiten stimmen, dass endlich alles stimmt.
Jeremia hat in ferner Vergangenheit das Neue, was da
kommt, mit dem Grün der Pfl anzen verglichen. Es ist
eine Macht, die alles auf den Kopf stellt. Auch wenn alles
klein und unscheinbar beginnt, wie ein Spross, der aus der
Erde herausbricht. Oder wie ein Baby, dass all die Macht
Gottes in sich trägt.
Mag. Marco Uschmann, Pfarrer
für Öff entlichkeitsarbeit, Leiter des
Amtes für Hörfunk und Fernsehen
und SAAT-Chefredakteur, vertritt den
Evang. Presseverband in der Vollversammlung
der Bibelgesellschaft .
Foto: Marco Uschmann