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Außen.Welt
Lisa Pfahl: Die Befähigung von Familien
sollte im Zentrum (früh-)pädagogischer
Arbeit stehen; die Eltern stärken und ihnen
Mut machen. Die individuellen Bedürfnisse
Familienbegleitung
und inklusive Bildung
der Kinder müssen dabei erkannt werden und nicht
nur ihre Beeinträchtigungen. Therapeutische Ansätze zielen
auf die Heilung und Kompensation von Defiziten. Es braucht
multidisziplinäre, diverse Teams, die Familien als Ganzes unterstützen
und Kinder befähigen, handlungsmächtig zu werden.
So können Kind und Familie gleichermaßen stabilisiert werden.
Zudem ist eine konsequente Bildungspolitik gefordert, Kinder
und Eltern durch gute inklusive Bildung Alternativen zur Sonderschule
zu bieten. Das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe
aller Menschen an Bildung muss gewährleistet werden.
Lisa Pfahl: Die Anzahl an Werkstattplätzen
ist in den letzten Jahren stark
angestiegen. Dies verstärkt die Exklusion
von Menschen mit Behinderungen
auch vom Arbeitsmarkt. Wer inklusiv aufwächst, erreicht
nachweislich höhere Bildungsabschlüsse und hat
bessere Chancen, eine Arbeit zu finden. Die bisherige Ausgleichstaxe,
die Unternehmen bezahlen, wenn sie der Beschäftigungspflicht
von Menschen mit Behinderungen
nicht nachkommen, zeigt kaum Wirkung. Das Recht auf
selbstbestimmtes Wohnen ist ebenso wichtig. Hier bietet
die Sozialraumorientierung ein ausgewogenes Konzept,
auch für Menschen mit Behinderung. D.h. in der Region
angesiedelte Gruppen sollen anteilsmäßig auch entsprechend
in Wohn- und Bauprojekten vertreten sein.
Georg Willeit: Fürsorge wird allzu oft
als Gerechtigkeit verstanden. Das ist
ein trügerisches Bild. Ein Zuviel an
Fürsorge führt zu erlernter Hilflosigkeit,
was wiederum die Selbstbestimmtheit der Menschen
einschränkt. Durch Abschottungen im Erziehungs- und Bildungsbereich
werden ganze Familien ausgegrenzt. Demgegenüber
arbeitet professionelle Frühförderung und Familienbegleitung
an einem selbstbewussteren Umgang von
Familien mit Kindern mit Behinderungen im gesellschaftlichen
Leben. Sie stärkt den Mut der Kinder und dadurch
auch den der Eltern. Von Letzteren wird bisher sehr viel
Kraft abverlangt. Hier gilt es, Systeme zu stärken, die Eltern
unterstützen und ermutigen.
Georg Willeit: Die Lebenshilfe Tirol verzeichnet
in den letzten Jahren keine
Steigerungsraten im Werkstättenbereich
und dies ist eine bewusste Entscheidung.
Diese geschützten Systeme sind eine trügerische
Komfortzone. Dort, wo es gelingt, Menschen mit Behinderungen
am Arbeitsmarkt einzugliedern, dort liegt auch viel
inklusive Kraft. Beide Seiten profitieren langfristig von der
Zusammenarbeit, auch wenn es am Anfang viel Unterstützung
und Begleitung braucht. Wir haben den Anspruch,
Menschen in ein selbstbestimmtes Leben zu begleiten. Dabei
ist es vor allem beim Wohnen das Ziel, nicht den stationären,
sondern den mobilen Bereich auszubauen – also
begleitete WGs im sozialen Wohnbau, um ein hemmschwellenfreies
Wohnen nebeneinander zu ermöglichen.
Inklusion bei
Arbeit und Wohnen
Im Rahmen des Bereichstreffens von
Frühförderinnen und Freizeitassistentinnen
sprachen Univ.-Prof. Dr.in Lisa Pfahl
(Erziehungswissenschaften, Uni Innsbruck)
und Lebenshilfe Tirol Geschäftsführer
Georg Willeit über die Chancen
und Voraussetzungen für Inklusion.
Inklusion ist keine problemlose
Zone,
aber Chance einer gemeinsamen Zukunft.