12 DIE BIBEL IM LEBEN
WIE ENTSTEHT
DIE JAHRES-
LOSUNG?
Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Dieser Satz aus 1.
Mose/Genesis 16,13 wurde im Februar 2020 als
Jahreslosung für 2023 ausgewählt. Dann werden sich
viele Menschen Gedanken darüber machen, wie dieses
Bibelwort Trost sein und wie es uns im Alltag begleiten
kann.
EIN GROSSER STAPEL PAPIER
Vor mir liegt ein großer Stapel Papier mit jeweils sehr
vielen darauf abgedruckten Bibelsprüchen: Vorschläge
für die Jahreslosung 2023 - und für die Monatssprüche.
Dass so viele Verse aus Genesis und Matthäus darunter
sind, erklärt mir meine Sitznachbarin damit, dass die
Verse immer aus dem - ebenfalls von der ÖAB ver-antworteten
- aktuellen Bibelleseplan vorgeschlagen
werden.
Wir treffen uns in vier Kleingruppen. Das Ziel der nächs-ten
zwei Stunden ist es, zwei Favoriten aus gesamt 33
Bibelversen auszuwählen, über die am nächsten Tag im
Plenum weiter beraten werden soll.
Wir lesen, diskutieren, suchen Für und Wider. Bis zum
Abend sind wir noch zu keinem Ergebnis gekommen. Am
nächsten Morgen können wir uns aber auf zwei Verse
einigen. Dann widmen wir uns dem nächsten Stapel
Papier: Für jeden Monat sollen ebenfalls noch zwei Verse
ausgesucht werden. Wieder: lesen, diskutieren, fest-legen.
Bei den Monatssprüchen fällt der Druck ab, einen
möglichst perfekten Vers für möglichst viele Zielgruppen
jeden Alters, sozialen Hintergrunds und jeglicher Art von
Kirchenbeziehung für ein ganzes Jahr festzulegen.
DIE VIELFÄLTIGKEIT DER VERSE
Im ersten großen Plenum zur Jahreslosung wird nun die
Aussprache über acht Verse – je zwei aus den vier Klein-gruppen
- eröffnet. Der eine Vers spricht wahrscheinlich
kirchenfernere Menschen durch seine Sprache zu wenig
an, der andere ist zu einseitig auf den Klimawandel
bezogen. Einer kann ohne Kontext falsch verstanden
werden, einer könnte von Jugendlichen nicht verstanden
werden. Gleichzeitig spricht einer gut die Lebenswelt der
Jugendlichen an, einer könnte gerade den Kirchenfern-eren
ein Anhalt sein. Einer wäre aus dem Alten Testa-ment
und einer würde das Thema der Gerechtigkeit in
den Fokus stellen. Mit sozialgeschichtlichen Hintergrün-den,
theologischen Überlegungen und ursprachlichen
Kenntnissen über diese oder jene Übersetzung kristalli-sieren
sich dann doch rasch Favoriten heraus. Am Ende
sind es nur noch zwei. Nach zahlreichen Diskussionsrun-den
fällt am Ende der Tagung letztlich die Entscheidung.
Die Jahreslosung wird immer drei
Jahre im Voraus bei einer Tagung der
Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für
Bibellesen (ÖAB) von knapp 25 De-legierten
ausgewählt. Ich durfte 2020
in Berlin als Jugenddelegierte dabei
sein.
In mehreren Kleingruppen werden die Spruchvorschläge diskutiert und
eine Vorauswahl für die Entscheidung getroffen. Foto: Nora Matern
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