stadt. Jakob (Name geändert), der hier Pastor ist, be-grüßt
uns herzlich mit seiner Familie. Durch ein großes
Tor führt er uns in einen schön gestalteten Innenhof,
in dem gerade ein neues Kirchengebäude entsteht, das
von der Architektur her stark an eine Moschee erinnert.
Usbeken, die traditionell dem Islam angehören, sollen
sich hier willkommen fühlen und vertraute Elemente
vorfinden. Es soll ihnen vermittelt werden: Das Chris-tentum
hat etwas mit ihnen ganz persönlich zu tun, es
ist nicht die fremde Religion aus dem Ausland. Das gro-ße
Wunder: Der Bürgermeister der Stadt gab die Ge-nehmigung
dafür, ohne dass er darum gebeten werden
musste. Er hatte die Gemeinde kennengelernt, nachdem
die Mitglieder eine Müllhalde aufgeräumt hatten.
Jakob fasziniert mich. Er hat eine unglaublich positi-ve
Ausstrahlung und eine große Vision: Im Jahr 2022
sieht er zwei Prozent der Einwohner der Kleinstadt als
Christen.
LEBENDIGE GEMEINDEN
Ein Tag später in Samarkand. Es ist Sonntag und heute
können wir zwei verschiedene Gottesdienste besuchen.
Abends sind wir in einer der größten usbekischen Ge-meinden
zu Gast. Der schlichte Gottesdienstraum ist
bis auf den letzten Platz gefüllt – da sind junge Männer
in legerer Kleidung, ältere Frauen mit bunten Kopf-tüchern,
Familien und sogar zwei frisch verheiratete
Frauen mit der traditionellen Krone auf dem Kopf. An
einer Seite sitzt eine Frau auf einem Podest und über-setzt
die Predigt in Gebärdensprache. Viele Gemeinden
in Usbekistan haben solch ein spezielles Angebot für
gehörlose Menschen, da es zum einen viele mit dieser
Behinderung gibt, sich zum anderen kaum jemand sonst
um sie bemüht.
Auch dieser leider schon letzte ganze Tag in Usbekis-tan
ist intensiv und voller Eindrücke. Irgendwie hatte
ich erwartet, angesichts der Umstände mehr sorgen-volle
Gesichter und Bedrückung vorzufinden, doch das
Gegenteil ist der Fall: Die Kirche in Usbekistan ist voller
Leben. Ich hatte gehofft, die Christen vor Ort ermutigen
zu können, aber es war anders herum: Ihre Geschichten
haben mich inspiriert. Was mir oft allzu selbstverständ-lich
ist – die Bibel ohne Einschränkung lesen zu dürfen,
den Glauben frei ausüben zu können –, ist für sie alles
andere als normal und deshalb umso kostbarer. Auch
ich will das Wort Gottes wieder neu wertschätzen, mich
nicht zu sehr daran gewöhnen, sondern das Besondere
daran wahrnehmen und mich
berühren lassen. Das nehme ich
mir neben all den Erfahrungen
von dieser Reise mit.
„
WAS MIR OFT ALLZU SELBSTVER-STÄNDLICH
IST – DIE BIBEL OHNE
EINSCHRÄNKUNG LESEN ZU DÜR-FEN,
DEN GLAUBEN FREI AUSÜBEN
ZU KÖNNEN –, IST FÜR SIE ALLES
ANDERE ALS NORMAL UND DESHALB
UMSO KOSTBARER.
SILKE GABRISCH
DIE BIBEL IN ZENTRALASIEN 07
Das Wort Gottes hat in den Gemeinden und im Leben der Christen einen
zentralen Stellenwert. Foto: Tor Terjansen/Norwegische Bibelgesellschaft
Silke Gabrisch ist
Referentin der Welt-bibelhilfe
bei der
Deutschen Bibelgesell-schaft
in Stuttgart.