Die Bibel ausgelegt ✛
Handeln aus geschenkter Freude heraus
„Alles, was deine Hand, solange du Kraft hast, zu tun vorfi ndet, das tu!
Denn es gibt weder Tun noch Rechnen noch Können noch Wissen in der
Unterwelt, zu der du unterwegs bist.“ (Koh 9,10; Einheitsübersetzung 2017)
die Bibel aktuell | 9
Illustration: Salvador Dalí: Vanitas
Erst im vierten Teil des Buches ringt sich Kohelet (der
Prediger) zu dieser Aussage durch. Die scheinbar einfache
Auff orderung steht am Ende eines langen Weges auf der
Suche nach dem Glück.
Die Frage, ob und wie der Mensch glücklich werden
kann, versucht Kohelet im Selbstexperiment zu beantworten
(1,12 – 2,26): So strebt er unter anderem danach,
durch erfolgversprechendes Handeln glücklich zu werden.
Er setzt Großtaten und häuft Besitz an (2,1-8). Sein Handeln
ist ein zweckgerichtetes, gewinnorientiertes Tun, das
sich Glück erzwingen will. Doch es führt in Verzweifl ung,
denn er zieht keinen bleibenden Gewinn daraus (2,16-18).
Nun, im vierten Teil des Buches, nach weiteren Experimenten
und Auseinandersetzungen mit der traditionellen
Weisheit, kommt er wieder auf das Th ema „Handeln“ zu
sprechen und kehrt, weise geworden, Ursache und Wirkung
um: Nicht das Handeln führt zum Glück, sondern erst aus
einer gottgeschenkten gelassenen und andauernden Freude
heraus entspringt das richtige Handeln: kein Aktionismus,
aber auch kein selbstgefälliger Quietismus, der sich dem
Leben verweigert. Vielmehr eine Haltung, die ins Handeln
führt und sich den Herausforderungen des Lebens stellt.
Denn ein solches Handeln ist in der Unterwelt, zu der der
Mensch unterwegs ist, nicht mehr möglich – das ist die
Kernaussage der Begründung von Vers 10b.
„Selbst wenn der Gebildete behauptet, er erkenne – er
kann es doch nicht wiederfi nden“ (8,16). Kohelet hingegen
sieht wahres Wissen und wahre Weisheit dort gegeben,
wo der Mensch seine Grenzen erkennt und annimmt
und im Bewusstsein seiner Vergänglichkeit freudig und
tatkräft ig das ihm Naheliegende und das ihm Mögliche
tut (vgl. 3.Mos/Lev 12,8; 1.Sam 25,8) .
Der Aufruf, zu handeln, ergeht dabei vor dem Hintergrund
einer realistischen Sichtweise der Wirklichkeit. Die
Welt ist vergänglich und oft mals undurchschaubar und der
Mensch weiß weder, welchen Erfolg sein Handeln haben
wird, noch, wie lange er überhaupt noch selbstbestimmt
wird handeln können. Das betrifft nicht nur den alternden
oder kranken, sondern jeden Menschen: „…jeden treff en
Zufall und Zeit“ (9,11).
Gerade aber, weil „alles“ vergänglich ist, gerade weil sich
ins Totenreich nichts mitnehmen lässt, muss im Hier und
Heute gehandelt werden, aus einer Grundhaltung heraus, die
es erlaubt, von Erfolg oder Misserfolg unabhängig zu sein.
Oft wird gesagt, das Buch Kohelet (Prediger) sei ein
pessimistisches Buch. Das sehe ich anders: Wohl ist es
realistisch und zerstört mit seinem wiederholten Verweis
auf die Vergänglichkeit des Irdischen manche Illusion,
doch es sieht gerade in der Erkenntnis, dass es keinen
Vorteil und keinen bleibenden Gewinn im Leben gibt,
den Weg in die Freude.
Kohelet defi niert Handeln als Ausdruck und Folge einer
von Gott empfangenen, das gesamte Leben durchziehenden
freudigen Lebenshaltung. Ein solches Handeln fragt
nicht zuerst nach Vorteil oder Risiko, nach Erfolg oder
Vergeblichkeit, sondern tut freudig das, was die Hand
„zu tun vorfi ndet“.
Dr. Elisabeth Birnbaum ist seit
1.9.2017 neue Direktorin des
Österreichischen Katholischen
Bibelwerks mit Sitz in Wien.
Quelle: www.wikiart.org/en/salvador-dali/ecclesiastes-preacher-of-surprising-joy-1-4