ÖSTERREICH 17
einen riesigen Bedarf an fremdsprachigen Bibeln. Bibeln
in Farsi und Arabisch haben wir in großer Zahl weiterge-geben,
aber auch Bibeln in Paschtu, Usbekisch, Kurdisch
und Russisch sind über meinen Schreibtisch gegangen,
dazu eine Vielzahl an Material zum Thema „Flucht in der
Bibel“. Man soll gar nicht glauben, wie sehr Menschen
sich über so etwas freuen können! Nicht, dass sie alle
hätten Christen werden wollen. Aber wahrscheinlich
ist es einfach ein Stück Menschlichkeit, nicht als Mas-se
wahrgenommen zu werden, sondern als Mensch mit
einer unverwechselbaren Muttersprache – selbst wenn
wir von dieser Sprache noch nie was gehört haben. Viele
von ihnen haben einfach bei uns zum ersten Mal eine
Kirche betreten. Wie sollten sie da nicht neugierig ge-worden
sein?
Einige aber waren tiefgläubige Christen verschiedener
Herkunft: orthodoxe Christen oder Kopten, Menschen
aus Untergrundkirchen in islamistischen Terrorregimen,
die die Bibel daheim in aberwitzigen Verstecken ge-lesen
und Christus für sich entdeckt hatten. Nie hätten
sie es wagen dürfen, das verräterische Buch mit auf die
nächtlichen Fluchtrouten zu nehmen, weil sie damit am
Ende ihre ganze Gemeinde verraten hätten. Ihnen aber
hier wieder eine Bibel in ihrer Muttersprache schenken
zu können – das war so, als hätten sie ein Stück alte
Heimat wiedergewonnen, nur diesmal ohne Bedrohung
und in Frieden. Berührende Momente. Und wenn ich
immer wieder zweifelnd gefragt werde: „Bist du nicht zu
gutgläubig? Sind das wirklich Christen?“ – dann kann ich
die zweifelnd Fragenden nur einladen, einmal gemeinsam
mit unseren fremdsprachigen Geschwistern die Bibel zu
lesen und ihren Umgang mit dieser Schrift zu erleben.
Sie hüten sie wie ihren größten Schatz, kennen sie wie
ihre Westentasche und finden problemlos jede Stelle.
Wie viele von den kritisch Fragenden würden eine Bibel
wohl auf Anhieb aufschlagen können, wenn ich sagen
würde: Jetzt lesen wir einmal aus den Sprüchen Salomos,
Kapitel 21, Vers 2? Wie berührend ist es aber umgekehrt,
wenn wir dieselben Worte lesen können – zeitgleich,
am selben Tisch, obwohl wir (noch) keine gemeinsame
Sprache haben?
Wie viele Bibeln in wie vielen Sprachen ich in den letzten
Jahren von der Bibelgesellschaft erhalten und weiter-geschenkt
habe, kann ich gar nicht sagen. Dafür bin ich
sehr dankbar.
In unserer Kirche gibt es jetzt übrigens Bibeln in acht
Sprachen: Deutsch, Griechisch, Hebräisch, Englisch,
Französisch, Arabisch, Farsi und seit unserer letzten
Taufe im Oktober 2021 auch Amharisch. Der kleine Alen,
dessen Familie aus Äthiopien geflohen ist, hat Taufpaten
aus unserer Gemeinde, alle waren in traditionelle äthio-pische
Gewänder gekleidet,
dazu die fremde Sprache und
die beeindruckenden amha-rischen
Buchstaben: Es war
wirklich ein Hauch von Gottes
großer Schöpfung in unserem
kleinen Kirchenraum.
Marianne Pratl-Zebinger
Foto: Eva Koch
„
ES IST, ALS HÄTTEN SIE
EIN STÜCK ALTE HEIMAT
WIEDERGEWONNEN, NUR
DIESMAL OHNE BEDROHUNG
UND IN FRIEDEN.
Im Rahmen ihres Dauer-Projekts „Bibeln für Flücht-linge
und Schubhäftlinge“ stellt die Bibelgesellschaft
geflüchteten Menschen, die es möchten, eine kos-tenlose
Bibelausgabe in der gewünschten Sprache
(Muttersprache oder auch Verständigungssprache) zur
Verfügung. In den vergangenen Monaten waren Bibeln
in folgenden Sprachen – neben Englisch und
Französisch – besonders begehrt: Arabisch,
Armenisch, Dari, Farsi (auch zweisprachige
Neue Testamente Farsi-Deutsch), Georgisch,
kurdische Dialekte, Syrisch, Tibetisch,
Türkisch, Ukrainisch sowie Urdu. Dieses
Projekt finanziert sich ausschließlich aus Spenden.