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An das
Christkind
Überall
Betreff: Anfrage wegen Restposten
Weihnachten 2017
Liebes Christkind!
Ich bin mir nicht sicher: Erfüllst Du eigentlich noch immaterielle Wünsche? Natürlich habe
ich mitbekommen, dass Du Dich auf Elektro und Lifestyle spezialisiert hast – und alle Achtung:
Der Handel ist Dir gewogen, die Industrie hat Dich mehrfach ausgezeichnet. Aber hast Du auch
noch die alte Ware auf Lager? Du weißt schon: Glück, Friede, Gesundheit, Liebe?
Halte mich jetzt bitte nicht für einen dieser Weihnachts-Sentimentalen. Aber ich habe heuer
einfach keine Befindlichkeit zu „Weihnachten“ aufbauen können. Natürlich wollte ich eine
aufbauen, aber es ist mir nicht gelungen. Und als ich schon verzweifelt war, ist mir etwas
passiert, die Geschichte muss ich Dir erzählen: Ich habe erfüllt, was sich Mama seit zwölf
Jahren wünscht: mein ehemaliges Kinderzimmer ausgeräumt. Ja ja, das hätte ich längst machen
können. Jedenfalls ist mir da allerlei aus der Schulzeit untergekommen. Die Bücher und Hefte
habe ich leichten Herzens entsorgt. Aber stelle dir vor, was ich einfach aufheben musste: Die
Zettelchen des Alltags, die kleinen Konversationen unter dem Tisch. Die Schätze des Bankfachs.
Den gekritzelten Austausch mit Freunden. Briefe an die Liebe. Briefe von der Liebe.
Zu Erinnerungen gewordener Krimskrams. Die Unwesentlichkeiten meiner Jugend.
Daraufhin habe ich meinen heurigen Wunschzettel an Dich weggeworfen. Weil ich mir überlegt
habe: Zu den Geschenken des Heute habe ich in zwanzig Jahren womöglich auch keine
Befindlichkeit mehr. Und wenn ich dann ein Zimmer entrümple, bleiben wieder nur die Erinnerungen
über. Schau: Ich weiß ja auch nicht mehr, was vor zwanzig Jahren unter dem Baum gelegen ist.
Aber dass ich da jedes Jahr mit meinen Lieben stehe, weiß ich genau.
Und weißt Du was: Schlussendlich habe ich sogar die Weihnachtsgeschenke für meine Lieben
entrümpelt. Hab ich mir gedacht: Nimm heuer Weihnachten das Handelsplus weg und zahle die
Dividende gleich direkt ins Herz! Also schenke ich all das, was mir an Erinnerung in die Hände
gefallen ist. Meine Erinnerungen. Unsere Erinnerungen. Erinnerungen, die das Lächeln, Weinen und
Strahlen der besten Momente konserviert hat. Und sich ganz einfach beleben lässt.
Deswegen habe ich mich gefragt, ob Du noch Restposten von den alten Sachen hast. Weil ich
nicht wieder zwanzig Jahre warten will, bis ich vor Freude leuchte wie der Stern am Baum.
Dein
Axel
p.s. Habe den Brief noch mal gelesen und fürchte, jetzt bin ich doch sentimental geworden.
Bitte entschuldige, liebes Christkind...
p.p.s. Ich wünsche ein merkenswertes Weihnachten und ein Jahr 2018 voller Erinnerungen!
Text: Axel Halbhuber